Solidarität der Junkies

Schon am frühen Morgen lungern sie am Bahnhof, das Kinn auf die Brust gelegt, der Rücken bucklig, der Daumen nach der nächsten Dosis zuckend. Geist ist vor dem zweiten Schuss Kaffee noch nicht eingehaucht. Die Luft ist raus. Weit entfernt, durch das, was wir als Fortschritt ausweisen, über uns hinauszuwachsen, fallen wir zusammen. Wo Spritzbesteck die Bänke deckt, die Pfeifen rauchen und Aluminium durch die Schächte weht, wartet eine Parade Angestellter auf den Bildschirm starrend am Gleis gen Lebensunterhalt. Gut lässt es sich stehen, während sich auch Andere im Weltspiegel versehen.


Die Junkies jedoch arme Teufel. Sie sind das Schreckbild einer Gesellschaft, die sich versichert hat, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, zu leisten und berechenbar zu sein – was bisweilen leider auch nichts nützt, denn der sogenannten Performance ungeachtet wird die Rechnung wiederholt und ohne uns gemacht; bleibt ein Rest, müssen wir weg. So will es die Regel. Das blinde Auge sieht die eigene Abhängigkeit nicht, die sich schon in frühen Morgenstunden zu ihresgleichen gesellt. Unsere Narretei sind Algorithmen, noch einfältiger als wir selbst.


Da stehen wir Spalier, die Andersabhängigen, und können uns mit modischem Schuhwerk und gekämmtem Haar versichern, dass es so schlimm um uns ja nicht bestellt ist – hingegen sich die Frage stellt, wenn wir beispielsweise am späten Abend, nach einer Stunde Leibesertüchtigung im Sportstudio, den Apparat, einer Fessel gleich, am Handgelenk zum Duschen nehmen (in einen der raren bild- und werbefreien Alltagsräume): Wann hängt man von dem Gewohnten ab?


Haben wir uns von den Ketten körperlicher Überlebensmühen frei gemacht, um uns von einer Flut belangloser Bilder überwältigen zu lassen? Das Denken scheint hier kurz geschlossen, einem Trug erlegen und imaginiert sich Freiheit durch ein hosentaschengroßes Fenster. Denn noch heißt keine gute Idee, was nicht verboten, noch geächtet, noch unmittelbar schädlich für uns ist. Erkennen wir in der Beliebtheit und Allgegenwart des Konsums nicht unseren eigentlichen Zusammenhalt? Unausgesprochen versichern wir uns gegenseitig dass wir den Missbrauch der Geräte, das Frönen der sinnentleerten Überfülle, die sie bieten, tolerieren – so lange auch unsere Abhängigkeit umkommentiert bleibt.


Warum kokettieren wir mit unserer Neigung? Wieso muss der Egoapparat in geselliger Runde auf dem Tisch liegen? Warum drängen Anrufe und Nachrichten auf ein Sofort? Warum so hörig, dass Präsenz die zweite Geige spielt?


Praktische Einwände gehen hier fehl; denn der Abhängigkeit geht es nicht um Funktion, sondern um den Rausch, der den Gebrauch verschafft. In uns versunken, tun wir digital unseren Unmut über die Verwahrlosung des Erbes Welt kund und verteilen Herzchen für die gute Meinung. Wenn schon Ehre, Würde und Anstand Narziß ins Wasser gefolgt sind, so bleibt noch immer die Moral – bis sich der Bildschirm sperrt und wir im schwarzen Glanz nichts sehen als uns selbst.