evor ich Ihnen Anliegen und Grund dieses Briefes darlege, gestatten Sie mir kurz, mich vorzustellen: Ich wohne in unserer aufregenden Hauptstadt, die ich vor allem im Frühling und Sommer lieb gewinnen kann, da ich zu diesen Jahreszeiten nach Herzenslust und bis tief in die Nacht hinein ihre langen und breiten Straßen auf- und abgehen kann. Ich gehe sehr gerne. Überrascht es Sie, wenn ich Ihnen zugebe, dass ich mich einen angehenden Schriftsteller zu nennen wage? Das Gehen hat bei den Schriftstellern eine lange Tradition, doch das wissen Sie sicher. Dann und wann übe ich auch die Tätigkeit des regen Schreibens schon aus; bald in meiner Stube, bald in diesem oder jenem Café, doch in nicht allzu ferner Zukunft möchte ich dergestalt schreiben, wie die Bäcker beispielsweise backen, oder die Beamten ihre Akten stapeln. Bei jenen erklingt es: backe, backe, backe; bei diesen stapel, stapel, stapel; bei mir eben hoffentlich schreibe, schreibe, Bücher. Und wie ich mir diese Träumerei fantasierte, Eure Durchlaucht Gräfin von Faber-Castell, da dachte ich an Sie. Doch Halt! Zum Zwecke einer weiteren Erklärung möchte ich Ihnen zuletzt noch von folgender Begebenheit erzählen:
Meine Bewunderung für den Schweizer Schriftsteller Robert Walser vermag ich nicht zu verhehlen – man möge mir meine stilistischen Anleihen in diesem Brief bitte nachsehen – und ich fühle mich noch mehr mit ihm verbunden, seit ich von dem Grund des reizenden Titels einer Schriftensammlung von ihm erfuhr.
Walser weilte zu Beginn des letzten Jahrhunderts ebenfalls in der deutschen Hauptstadt und berichtete dort einem Journalisten, er habe beim Schreiben mit der Feder einen »wahren Zusammenbruch meiner Hand, eine Art Krampf« erlitten. Naturgemäß beeinträchtigte ihn dies durchaus in seiner Arbeit. So entsann er ein Schreibsystem in zwei Stufen: Bevor er die Reinschrift in Feder niederlegte, verfasste er die Skripte gänzlich per Bleistift. Jawohl, ganze Bücher hat Walser dergestalt mit dem Bleistift geschrieben! Er selbst sagte, dass seine »Schriftstellerlust mit Hülfe des Bleistifts« wiederauflebte. (Sicher möchten Sie nun wissen, wie das Machwerk heißt, dessen Titel mich so entzückt? Er lautet: »Aus dem Bleistiftgebiet«)
Ich bin überzeugt, wäre der Journalist nur ein wenig länger bei diesem Sujet verweilt, Walser hätte zu einem Loblied auf den Bleistift angesetzt. Wer kann es ihm verdenken? Ich jedenfalls hätte sogleich mit eingestimmt. Und wer weiß, vielleicht findet sich eines Tages in einer quietschenden Schublade oder einer alten, knarrenden Truhe oder unter ein paar Dielen, die ein Geräusch machen, wie eben nur alte Dielen es zu tun pflegen, ein Manuskript Walsers mit einem Titel wie etwa: »Lob des Bleistifts« – natürlich seinem System gemäß in Bleistift verfasst?
Ich habe keine Lust, so lange auf dergleichen Fund zu warten und setze deswegen sofort zu einem solchen Lob an. Da ich jedoch ahne, wie Sie, Eure Durchlaucht Gräfin von Faber-Castell, in Ungeduld zu verfallen drohen – was, wie ich Sie versichern möchte, meine Absicht nie war –, werde ich an dieser Stelle nicht Bleistifte im Allgemeinen noch irgendeinen Bleistift, sondern Ihren Bleistift loben, d.h. einen der hervorragenden Bleistifte der Fa. Faber-Castell.
Mit Vorliebe und Zärtlichkeit für den Gegenstand benutze ich nun schon seit Jahren das Modell FC 1112 mit aufgesetztem Radiergummi. Allein des eleganten schwarzen Schreibgeräts Länge und Breite und ihr Verhältnis zueinander verraten bereits seine hervorragende Handhabung. Man hält den Bleistift schlicht mit zwei Fingern einer Hand, wobei er auf einem dritten ruht, und kann sich sofort an seiner Einfachheit erfreuen, dass man, wenn man sich an einem leeren Blatt Papier oder Ähnlichem zu schaffen macht, leicht in einen rechten Schreibrausch verfallen kann und dabei den Stift abzusetzen vergisst.
Wenn man vor lauter Buchstaben sodann den Gehalt seiner Worte nicht mehr versteht, lässt man den Bleistift geschmeidig durch die Finger gleiten und radiert den Unsinn mit dem Gummi wieder aus! Ich kann mir Praktischeres nicht vorstellen.
Auch das Anspitzen des Bleistifts wage ich einen Genuss zu nennen. Es befriedigt außerordentlich, eine saubere und spitze Spitze gespitzt zu haben; außerdem fallen dabei diejenigen Späne, die für gewöhnlich bei geistiger Arbeit, die der Schriftsteller zu bewältigen hat, eben nicht anfallen, weswegen unsereiner bisweilen als faul bis untätig gilt. Ha! Mit einem Ausruf der Überlegenheit halte ich einem Tor, der solches zu behaupten wagt, ein Schälchen voller Späne hin, worauf er sich sogleich entschuldigt und sich beschämt weil niederer Gedanken überführt zurückzieht und ich wieder in aller Ruhe denken oder schreiben kann.
Eure Durchlaucht Mary Gräfin von Faber-Castell, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Bleistifte, die in meinem bescheidenem Leben ein Stück Glück und in meiner Arbeit ein unerlässliches Mittel bedeuten! Ich hoffe, Sie sind nach der Lektüre nicht ernüchtert oder gar verärgert; denn natürlich haben sie Recht: Jetzt habe ich zwar ganz entzückend über Ihren Bleistift dahergeredet, allerdings mein Anliegen und Grund für diesen Brief immer noch nicht genannt! Nun also: Aus oben aufgeführten Gründen wäre ich Ihnen zutiefst dankbar, würden Sie mir ein paar Bleistifte zukommen lassen. (Beachten Sie dabei, wie ich mein Leben und also dessen Führung vor einigen Zeilen bescheiden genannt habe.) Ich verlange gar nichts und hoffe auf wenig, doch über drei bis siebzehn Päckchen mit den Bleistiften FC 1112 mit eingesetztem Radiergummi wäre ich hocherfreut und Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.
Ich werde sodann, so habe ich mir gedacht, bald diesem, bald jenem Freund und Bekannten einen dieser Stifte geben können und diese von Ihnen in die Welt gesetzte großzügige Geste, versehen mit ähnlichen lobenden Worten, wie ich sie hier vor Ihnen ausgebreitet habe, weitertragen. Wenn man es also genau betrachtet – und sicher pflichten Sie mir bei –, haben Sie und ich wir beide etwas von Ihrer Großzügigkeit: Sie würden einem angehenden Schriftsteller nicht allein und im wahrsten Sinne ein dringend benötigtes Schreibgerät in die Hand drücken (Sie ahnen, mein Stift wird, während ich diese Zeilen niederschreibe, soeben immer kürzer!), sondern jener Schreiberling würde den Namen Ihres hervorragenden Unternehmens samt eines beispielhaften Produkts durch die Straßen unserer Hauptstadt tragen, dass ein jeder, der sich Notizen zu machen gedenkt, gleich weiß, wer herstellt, was er dazu benötigt: Faber-Castell, Faber-Castell, Faber-Castell… wird es durch die Alleen hallen. Das muss Musik in Ihren Ohren sein! Wünschen Sie, dass niemand von ihrer Geste erfährt und Sie als Spenderin anonym bleiben, so respektiere ich Ihren Wunsch freilich und versichere Sie, dass ich nicht ein Wort über die Herkunft meines dann beträchtlich zu nennenden Vorrats an Bleistiften verlieren werde.
Eure Durchlaucht Gräfin von Faber-Castell, ich hoffe inständig, Sie von meinem Anliegen überzeugt und Ihnen meine Bitte auf das eindrücklichste vorgetragen zu haben. Ich verbleibe mit der Hoffnung auf eine Antwort oder doch auch eine Lieferung Bleistifte.
hochachtungsvoll
Ihr Friedrich