Weihnachten in Charlottenburg

Einst die reichste Stadt des Königreichs Preußen, zeigt Charlottenburg auch heute noch seine ganze Pracht vom Tiergarten bis zum anmutigen Schloss. Wir können herausragende Architektur vom Barock bis zum Brutalismus bestaunen, verborgene Kleinode in breiten Alleen und engen Gassen entdecken und die winterlichen Festtage mit Glühwein unter der Schlosskuppel feiern.

Unter dem Eindruck der Pariser Boulevards wurde die Bismarckstraße in der Kaiserzeit zur Prachtachse durch Charlottenburg ausgebaut. Neben einigen bemerkenswerten Bauwerken interessieren uns vor allem die von Hitlers Hofarchitekten Alber Speer gestalteten Kandelaber, welche die Straße – ungeachtet ihrer Topografie – stets auf gleicher Höhe säumen. Wir können durch den formal strengen Entwurf mit den auffälligen Motiven der leuchtenden Urnen wie des Pinienzapfens die Funktionsweise des Totenkults besser verstehen, der zentral für die Zurichtung der Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus gewesen ist.

Das Finanzamt Charlottenburg ist in einem weiteren baulichen Zeugnis der Nationalsozialisten  beherbergt. Das vom Reichsadler gefasste Hakenkreuz notdürftig mit der hinterleuchteten Hausnummer verdeckt, verdient der Portikus des ansonsten schmucklosen Verwaltungsbaus unsere Aufmerksamkeit: Die einfache Lochfassade des 1939 von den Architekten Brucker und Keppler gezeichneten Finanzamt ist von einer kolossalen, nämlich über drei Geschosse reichenden Portalnische unterbrochen, die sich zudem mit Pfeiler und Auskleidung in Muschelkalk an einer imposanten Geste versucht, die am Kompromiss mit der umgebenden Bebauung scheitert. Können wir Bauten aus totalitären Zeiten erkennen, selbst wenn wir uns keine historischen Fakten vorlägen?

Den Eingang in die Deutsche Oper (1957–61) scheint Architekt Fritz Bornemann als Metapher für Transzendenz gestaltet zu haben: Der Eintritt in die Unterwelt führt durch die im Verhältnis niedrige Glasfront unter einen massiv wirkenden, auskragenden Waschbetonquader hinauf zu einem seitlich verglasten Foyer, das als erhabene Oberwelt von der Straße abgeschirmt ist, bis zum außerweltlichen Saal, der die Aufmerksamkeit der Zuschauer in einem Punkt auf der Bühne konzentriert. So erkennen wir die Wegeführung derjenigen, die in das Gebäude eintreten, als oberstes Gestaltungsprinzip des brutalistischen Nachkriegsbaus.

Die Ästhetik der Kontrolle können wir auch am herrschaftlichen Schloss Charlottenburg studieren: Wenn wir die Schlossstraße Richtung Charlottenburg entlang spazieren, treten zwei klassizistische Kasernen in unsere Blickachse, deren Kuppeln den ausladenden Flügeln des Schlosses bereits visuell Autorität verleihen. Hingegen können wir die hoch aufragende Tambourkuppel mit ringsum bekrönten Bullaugen als das allsehende Auge des Absolutismus deuten. Gerne lassen wir uns im preußischen Glanz betrachten, während wir uns mit Glühwein im Ehrenhof wärmen.

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