Auf unserem Tagesausflug werden wir die vielschichtigen Facetten Dresdens entdecken. Oft genug als eine der schönsten Städte Deutschlands bezeichnet, hat Dresden große Veränderungen erlebt, die sowohl das Stadtbild wie auch das kulturelle Leben fortwährend prägen, und bildet damit ein herausragendes Beispiel für die bewegte Geschichte Deutschlands. Ein Königreich, ein Imperium, eine Republik und zwei Diktaturen haben dabei prägende Spuren hinterlassen. Auf unserem Rundgang steht sowohl Kontinuität als auch Erneuerung im Mittelpunkt, um die durch die Geschichte der Stadt verursachten Verschiebungen und Veränderungen zu verstehen.
Um sich ein erstes Bild von Dresden und ihrem Selbstverständnis zu machen, finden wir den Blick auf die Altstadt aus der Ferne und der Nähe unerlässlich. Die prachtvolle Silhouette wie die Schmuckplätze machen uns begreiflich, wie Dresden seinen Ruf als „Elbflorenz“ erworben hat; ein Titel, der nicht nur auf die umfangreichen Kunstsammlungen der Stadt, sondern auch auf den Reichtum ihrer Bauten zurückzuführen ist. Obligatorisch sind Sehenswürdigkeiten wie das von Gottfried Semper gezeichnete Opernhaus (1871-78) samt Vorplatz, das angrenzende Residenzschloss (15. Jh.) und der Zwinger (18. Jh.); außerdem der Neumarkt, ein überwiegend rekonstruiertes Areal, das von bis Anfang dieses Jahrtausend wiederaufgebaute Frauenkirche gekrönt wird.
Besonders interessiert uns in der von Denkmälern reichen Altstadt die Kulisse selbst: Wir begreifen den Verlust des Stadtkerns bei den verheerenden Luftangriffen im Februar 1945 als so schmerzhaft für die Dresdner, dass der Neumarkt seit über zwanzig Jahren mit über sechzig Fassaden möglichst originalgetreu wiederaufgebaut wird. In welchem Verhältnis steht die Architektur zu Authentizität? Dass mit dem Wiederaufbau der zentralen Frauenkirche nicht nur das Stadtherz, sondern auch eine der herausragenden Werke barocker Baukunst wiedererstanden ist, beglückwünschen wir. Die von George Bähr (1726-43) entworfene Rundkirche zeigt den vollkommenen Übergang des in der Renaissance wiedereingeführten architektonischen Vokabulars zur souveränen und üppigen Formensprache des Barock.
Einen anderen Umgang mit dem Bauerbe können wir am Deutschen Hygiene-Museum ablesen. Bereits zu diesem Zweck von Wilhelm Kreis geplant und 1930 eröffnet, ist das Gebäude selbst eine Mischung aus Neoklassizismus und Bauhaus-Stil. Nicht nur die Stilmischung, uns auch bekannt als Reformarchitektur, auch der Bau selbst wurde von den Nationalsozialisten gekapert: Nicht bloß, um geschmacklose Rassenpropaganda zu verbreiten, sondern auch, um dem geplanten Stadtumbau ein Zentrum zu geben: Das Hygienemuseum sollte wurde zum Zentrum eines so genannten Gauforums, das wir uns als ein faschistisches Forum Romanum vorstellen können. Was prädestinierte ein solches Gebäude der Moderne dazu, von den Nazis annektiert zu werden? Wie haben die Dresdner den imposanten Bau rehabilitiert?
Mit zwei der markantesten Bauwerke, die zur Zeit der DDR errichtet wurden, können wir in fußläufiger Entfernung nicht nur einen Wechsel des Stils, sondern auch des Maßstabs miterleben; der Kulturpalast (1969, Wolfgang Jänisch) und das Rundkino (1972, Alfred Fasold und Winfried Sziegoleit) sind gewagte Beispiele für die Wiederbelebung durch Neubau des Stadtzentrums nach dem Krieg, das in Trümmern lag. Gemeinsam bildeten das Kino und die Konzert- und Veranstaltungshalle den Mittelpunkt des kulturellen Lebens Dresdens rund um die Prager Straße. Wir erkennen die Neuplanung der Innenstadt als ein herausragendes Beispiel für den sozialistischen Städtebau.
Nach dem Mittagessen entdecken wir die Kunstschätze der Stadt; zum Einen, um ihre Schönheit zu bewundern, zum Anderen, um ein tieferes Verständnis für den Stolz der Stadt zu erlangen, der ihr schließlich den Beinamen Elbflorenz einbrachte. In der Sempergalerie (1847-54), einem weiteren architektonischen Meisterwerk Sempers, sind die Alten Meister untergebracht. Als eine der renommiertesten Galerien der Welt mit einer Sammlung von rund 750 Gemälden wird sie von flämischen Berühmtheiten wie Rembrandt und Vermeer sowie den italienischen Größen Giorgione, Tiziano und Rafael gekrönt. Die Werke der Neuen Meister wiederum werden im Albertinum , dem ehemaligen Zeughaus der Stadt (1884-87), ausgestellt. Es gilt als eines der wichtigsten Museen für moderne Malerei in Deutschland.
Wir lassen das historische Stadtzentrum hinter uns und machen uns auf den Weg durch die Dresdner Neustadt, die, wie sich herausstellt, so neu gar nicht ist, sondern eines der größten und besterhaltenen Gründerzeitviertel Deutschlands, und das damit in seiner Gesamtheit älter ist als die rekonstruierte Altstadt jenseits der Elbe. Nördlich des äußerst beliebten Viertels befindet sich eine aufsehenerregendes Bauskulptur, das sich mit der Erneuerung Dresdens nach der großen Bombardierung beschäftigt. Für das Militärhistorische Museum (2004–11) hat der jüdisch-amerikanische Architekt Daniel Libeskind in der ehemaligen Waffenkammer ein bewusst störendes Element eingebaut, einer Scherbe gleich, die als Symbol für die Kämpfe um die Heilung der riesigen Wunde der Stadt gelesen werden kann. Außerdem bietet uns der Neubau einen herrlichen Blick auf Dresden, kurz bevor wir die Stadt verlassen.
Hellerau wurde 1909 gegründet und ist die erste Gartenstadt Deutschlands, die auf den Idealvorstellungen des Lebensreformers Ebenzer Howard basiert. Das herausragende Ensemble besteht aus zahlreichen Projekten so renommierter Architekten wie Richard Riemerschmid, Hermann Muthesius und Heinrich Tessenow; letzterer zeichnet für das Hauptgebäude von Hellerau verantwortlich: Das 1911 eröffnete Festspielhaus ist heute eine Ikone der Reformarchitekturbewegung. Hellerau bietet uns ein einzigartiges Beispiel dafür, wie Architekten nicht nur versuchten, ihre Disziplin zu voranzutreiben und ihr eine neue Aufgaben zuzuschreiben, sondern auch die Gesellschaft durch Architektur zu verändern. Nachdem wir andere Beispiele für ähnlich ideologische Ansätze gesehen haben, können wir unsere Zeitleiste der geistigen Veränderungen, die durch die Architektur sichtbar wurden, vervollständigen.
Am Abend sitzen wir zu Tisch im Ball- und Brauhaus Watzke, das, angestammt in einem historistischen Palast des Fin-de-Siècle, seit über einem Jahrhundert eines der beliebtesten Vergnügungslokale der Stadt ist. Nach Bier und Hausmannskost verabschieden wir uns geistig wie kulinarisch genährt von Dresden.